Abenteuer als äußere und innere Erfahrung
In der WDR2-Radiosendung „Frag doch mal die Maus“ können Kinder der klugen Maus, bekannt aus „Die Sendung mit der Maus“, wichtige Fragen stellen. Der sechs Jahre alte Damon hatte eine solche Frage und wollte von der Maus wissen, warum es Abenteuer und nicht Morgenteuer heißt.
Die Maus hat recherchiert, dass Abenteuer nichts mit Morgen, Mittag oder Abend zu tun hat. Das Wort gibt es schon seit über 800 Jahren und kommt aus dem Lateinischen. „Adventura“ oder auch „advenire“ bedeutet „Geschehen“ beziehungsweise „sich ereignen“. Früher hat man darunter etwas anderes verstanden als heute – Geschick, Zufall, Risiko, Betrug, List. Auch heute hat Abenteuer mehrere Bedeutungen und wir erleben diese Mehrdeutigkeit in den hier versammelten wunderbaren Briefen: Es kann gefährlich, aufregend oder außergewöhnlich sein, manchmal aber auch unangenehm und weniger schön. Aber nie ist es langweilig, bloße Gewohnheit oder Wiederholung, immer ist es ein Ereignis, eine neue Erfahrung.
Allerdings ist die Antwort der Maus eine typische Erwachsenenantwort. Absolut korrekt, jedoch etwas ernüchternd und so ganz ohne Abenteuer. Vielleicht liegt Damon mit seiner Vermutung gar nicht so falsch, dass der Abend die Zeit für Abenteuer ist. Das Licht des Mondes, das Funkeln der Sterne lassen die irdischen Dinge trügerischer erscheinen als das Sonnenlicht des Tages. Wenn am Abend die scharfen Umrisse langsam schwinden, die Schatten länger werden, lösen sich mit den Konturen Gewissheiten auf.

Lutz Roschker
Vorstand der PwC-Stiftung
Die Dinge bekommen eine neue Gestalt, von der wir oft nur eine leise Ahnung haben. Mit zunehmender Dunkelheit wächst der Raum des Unbekannten. Wenn wir es zulassen, geschieht auch in unserem Inneren etwas: Je weniger wir sehen, desto mehr treten andere Sinne oder Empfindungen jenseits des sinnlich Wahrnehmbaren in den Vordergrund. So sind am Tag kaum vernehmbare Geräusche nun äußerst präsent, werden laut, erhalten eine Körperlichkeit durch die nur vermutete Gestalt der Verursacherin oder des Verursachers. Es passiert etwas, was uns in die Wiege gelegt war, wir jedoch im Laufe unseres Lebens mit wachsender Erfahrung oft verdrängt haben. Unsere Fantasie bekommt gegenüber der abgeklärten Rationalität täglicher Routine wieder die Oberhand. Sie ist auch der Schlüssel zum Unterbewussten, zum Reich der Träume. Bewegt sich nicht das, was eben noch ein Baum war, einem Riesen gleich, nun auf uns zu? Ist nicht der eben noch klare Bach im Mondlicht zur sich am Boden windenden silbernen Schlange geworden? Wer anders zu sehen beginnt, ist bereit für Abenteuer.
Mit anderen Worten: Das Leben ist ein großes Abenteuer. Lebt euer Abenteuer!
Lutz Roschker
Vorstand der PwC-Stiftung – langjährige Förderin der Stiftung Handschrift