Zum aktuellen Wettbewerb

Facetten der Freundschaft

„Freunde“ und „Freude“ trennt nur ein kleiner Buchstabe – das „n“. So ähnlich diese beiden Worte geschrieben werden, so eng liegen sie auch inhaltlich in den Briefen der Schülerinnen und Schüler beieinander. Es geht um Leidenschaft, um Gefühle, um Empathie. Freundschaften entstehen und zerbrechen, man streitet und versöhnt sich. Freundschaft wird als etwas Kost-bares und Bedeutendes erlebt – ein Schatz, dessen Wert man sich bewusst ist und den man hüten möchte.

Im Alter der am Wettbewerb teilnehmenden Kinder erweitern sich die Lebenswelten: Neben Schule und Elternhaus werden Freundinnen und Freunde zu wichtigen Bezugspunkten. Freundschaften sind ein wesentliches soziales Element auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Man lernt, einander zu vertrauen, sich gegenseitig zu helfen, gemeinsam stark zu sein. In vielen Briefen kommt die Dankbarkeit zum Ausdruck, mit einer anderen Person verbunden zu sein, sich Rat holen zu können und füreinander einzustehen. Gleichaltrige machen gemeinsame Erfahrungen, die intensiv erlebt und hinterfragt werden.

Aber auch die Kehrseite wird erlebt und erlitten: Freundschaften wechseln, man wird verlassen, betrogen, enttäuscht. Es ist herzzerreißend zu lesen, wie Vertrauen gebrochen und Geheimnisse verraten werden. Hier wünscht man sich als Leserin oder Leser Eltern, die Trost spenden, Vertrauenslehrkräfte, die Rat geben, gute Freundinnen und Freunde, die einen aus dem erlebten Tief herausholen. Denn der Klassen- und Schulverband lässt sich nicht einfach abschütteln – er ist für Jahre die Bühne des Lebens, auf der sich die Kinder und Jugendlichen miteinander arrangieren müssen. Umso wichtiger ist es, die Kinder in dieser sensiblen Phase des Erwachsenwerdens zu unterstützen und zu begleiten.

Ab und zu blitzt in der Gesamtheit der eingegangenen Briefe die digitale Parallelwelt auf – in Computerspielen werden Freundschaften in „Clans“ gepflegt oder gemeinsame Erlebnisse zu Instagram-Storys stilisiert. Aber die meisten Kontakte werden ganz pragmatisch „live“ gelebt: Man trifft sich zum Shoppen in der Stadt, verabredet sich zum Döner-Essen oder zum gemeinsamen „Chillen“. Nicht nur das schulische Umfeld bietet Raum für Freundschaften: Viele Briefe handeln von Freundschaften mit Familienmitgliedern, Haustieren und liebgewonnenen Gegenständen.

Es ist bewundernswert, wie reflektiert viele der jungen Autorinnen und Autoren über ein so anspruchsvolles und zugleich sehr persönliches Thema wie Freundschaft geschrieben haben. Vielleicht hat Freundschaft vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Corona-Situation mit Lockdowns und Schulschließungen und der damit verbundenen erlebten Isolation aus Sicht der Kinder sogar noch eine Aufwertung erfahren. Insgesamt wird wieder einmal deutlich, dass das Schreiben mit der Hand eine kreative Gedankenwelt entfacht, zum Nachdenken anregt und Einsichten aufdeckt, welche sich in dieser Tiefe nicht immer in der Alltagskommunikation zeigen.

Raoul Kroehl
Geschäftsführer der Stiftung Handschrift

Raoul Kroehl Geschäftsführer der Stiftung Handschrift

Raoul Kroehl Geschäftsführer der Stiftung Handschrift